Psychische Belastungen für junge Typ 2-Diabetespatienten
Früher war die Welt noch einfacher: Diabetes Typ 1 bekamen Kinder und Jugendliche (und ganz wenig ältere Menschen), Diabetes Typ 2 war Alterszucker – der erwischte Oma oder Opa.
Heute passiert es, dass man als junger Mensch, gar als Kind, einen Typ 2 Diabetes entwickelt, das heißt, es entsteht eine Resistenz gegen Insulin. Nun will natürlich niemand eine Krankheit haben. Während jedoch bei Typ 1, einer Autoimmunerkrankung, durchaus eine gewisse Akzeptanz vorhanden ist, Autoimmun – da kann keiner was dafür, wird es bei Typ 2 schwierig.
In den Köpfen ist drin, das ist der Zucker den die Omi hat. Wenn dann der Mitschüler, Lehrling oder auch Student nebenan plötzlich das Gleiche hat, ist das ungewöhnlich.
Schnell kommt es zur Stigmatisierung. Dann heißt es: „der muss sich einfach mal ein bisschen bewegen“ oder: „die darf einfach nicht so viel ungesundes Zeug futtern“, aber so einfach ist das Problem eben nicht.
Unsere Lebensumstände haben sich geändert, genauso wie die Essgewohnheiten, das Schul- und Studienleben. Nicht nur die Eltern der Kinder, sondern auch die Kinder und Jugendlichen selbst spüren einen wesentlich höheren Leistungs- und Anforderungsdruck im Vergleich zu 1970 oder auch 1980. Der technische Fortschritt hat vieles verändert, der Stresspegel steigt. Wer hätte damals über Work-Life-Balance nachgedacht?
Leider wirken sich diese ganzen Faktoren auf unsere Gesundheit aus und so kommt es eben auch vermehrt dazu, dass junge Menschen mit der Diagnose Diabetes Typ 2 konfrontiert sind.
Wenn man 8, 12, 16 oder 20 Jahre ist, sind alle um eine herum gesund, strotzen vor Tatendrang und Lebensfreude (oder sollten es zumindest), bekommt man dann solch eine Diagnose, haut es einem erstmal die Beine weg. Man muss sich zunächst einmal mit der Aussicht „unheilbar krank – für den Rest deines Lebens“ arrangieren. Dazu kommen dann die Einschränkungen oder Anpassungen im Leben. Überlege was -und wieviel davon- du isst. Mit den Freunden feiern gehen, klar. Aber es gibt eben eher Wasser als Cola, Bier oder Cocktails. Mal auf eine Pizza, oder besser nur ein halbes oder viertel Stück? Nudeln, das Hauptnahrungsmittel des Studenten, geht auch nicht so ohne weiteres. Und eine Nacht durchtanzen? Schwierig unter Insulintherapie, wegen der Gefahr der Unterzuckerung.
Ein paar vollkommen unglaubliche Vorfälle aus meiner Tätigkeit für den DDB lassen ahnen, welcher Diskriminierung junge Diabetiker im Schulalltag ausgesetzt sind. So machte mich die Aussage „ihr Kind kann nicht auf das Gymnasium gehen, das ist bei Diabetes nicht möglich“ wirklich sprachlos. Aber Aussagen wie „am Sport kann das Kind wegen des Diabetes aber nicht teilnehmen“ oder „in das Landheim/Ferienlager kann das Kind wegen des Diabetes nicht mit“ sorgen ja auch für ungläubiges Kopfschütteln. Es entsetzt mich immer wieder, wie wenig aufgeklärt manche Lehrer oder gar Direktoren sind. Die Folge ist, dass der junge Diabetiker unsicher wird, sich zurückzieht, Kontakt verliert. Der Freundeskreis schrumpft. Man sitzt zuhause, geht nicht mehr gern weg, die sozialen Interaktionen reduzieren sich. Einsamkeit kann zu Depressionen führen. Frustessen, -trinken, Rauchen, Daddeln machen es auch nicht besser. So gerät man schnell in eine Abwärtsspirale. Schlechte Ernährungsgewohnheiten, zu wenig Bewegung verschlechtern die Prognose. Diabetes und Depression schaukeln sich gegenseitig auf – ein Teufelskreis.
Die Alternative ist, sich Hilfe zu suchen. Das betreuende Diabetesteam oder ein Psychotherapeut wissen, was zu tun ist. Und es ist keine Schande, egal in welchem Alter, sich psychotherapeutische Unterstützung zu holen.
Leider haftet in unserer Gesellschaft dem Psychotherapiepatienten noch immer ein Stigma an. Dabei ist es völlig normal, sich bei Problemen Hilfe zu suchen. Wenn die Heizung nicht heizt, rufen sie den Monteur. Warum also nicht den Rat des Therapeuten suchen, wenn man keinen Ausweg aus einer Gedankenspirale findet. Wir müssen lernen, mit psychischen Belastungen offener und entspannter umzugehen.
Der Artikel entstand im Rahmen der Aktion #SagEsLaut
Matthias Böhmer